Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher.
Mit diesem Satz von Albert Einstein wurde mir von meinem ETH Professor Menn gelehrt, dass eine Brücke nicht überdimensioniert sein soll, sondern dass ein Gleichgewicht zwischen Funktionalität und Wirtschaftlichkeit angestrebt werden muss. Leider gilt dieser Grundsatz für das Projekt des zweiten Autobahntunnels am Gotthard nicht. Ich begründe dies mit einigen Zahlen.
Intervento all’assemblea dei delegati PSS 5 dicembre 2015 a San Gallo, ripreso sul blog SP
Täglich durchqueren durchschnittlich 2’500 Lastwagen und 15’000 Autos den Gotthardtunnel. In den Verkehrsnachrichten von ASTRA hingegen werden Kolonnen angekündigt, welche gar nicht existieren – ein Blick auf die Webcam macht das klar. Die grossen Staus finden in Wirklichkeit nur an einigen Tagen pro Jahr, in den Sommerferien, vor Ostern oder einigen anderen Feiertagen statt. Im Vergleich mit dem Verkehrsaufkommen im Südtessin ist dies nichts.
Auf der Autobahn Lugano Süd befinden sich jeden Tag, morgens und abends, mehr als 66’200 Fahrzeuge: 4 mal als am Gotthard!
Am Lungolago in Lugano müssen die Einwohner und die Touristen mehr als mehr als 30’000 Fahrzeuge pro Tag ertragen: 2 mal mehr als am Gotthard!
Beim Bahnhof Lugano durchqueren etwa 25’000 Autos die Stadt: 1,5 mal mehr als am Gotthard!
Ja, eine zweite Röhre zu bauen ist eine einfache Lösung aber sie ist auch too simple; teurer und überdimensioniert. Es ist keine Sanierung, sondern ein Neubau.
Es ist eine Illusion zu denken, dass es im Südtessin mit der zweiten Tunnelröhre kein zusätzliches Verkehrsaufkommen geben wird. Ein Beweis dafür ist, dass das ASTRA schon jetzt den Ausbau auf drei Spuren der Autobahn von Lugano bis Chiasso plant.
Die Mehrheit der Tessiner haben aber die Nase voll von Luftverschmutzung und schlechter Lebensqualität. Aus diesem Grund haben nicht nur die grosse Mehrheit von SP und Grünen, sondern auch viele Politiker bürgerlicher Parteien, wie zum Beispiel die Stadtpräsidenten von Mendrisio und Chiasso, sich öffentlich gegen den zweiten Autobahntunnel Stellung ausgesprochen.
Die italienische Schweiz ist die kulturelle Brücke zwischen der Schweiz und Italien: im neu eingeweihten Kunst- und Kulturzentrum LAC in Lugano ist die erste Ausstellung “Orizzonte Nord Sud” genau diesem Thema gewidmet. Auch die Tessiner Wirtschaft ist, seit der Eröffnung der Gotthardbahn im vorletzten Jahrhundert, von dieser Brückenfunktion geprägt. Wir leben in der Nähe von Mailand, einer Agglomeration mit einer Bevölkerung von 2 Millionen Menschen und der Lombardei, einem der dynamischsten Wirtschaftgebiete Europas. Zürich und Mailand müssen modern und nachhaltig verbunden werden. Die Weiterführung der Neat nach Süden ist vordringlich und darf nicht, wie vom Bundesrat geplant, ins Jahr 2030 herausgeschoben werden.
Ich bin überzeugt, dass meine Bauingenieurkollegen gute und günstigere Sanierungslösungen für den Gotthardstrassentunnel ausarbeiten können. Das Südtessin und die Agglomeration von Lugano brauchen ein effizientes Netz von öffentlichen Verkehrsmitteln mit Trams und Bussen, und keine neue Strassen! Die mit dem Verzicht auf einen zweiten Autobahntunnel eingesparten Kosten könnten, sehr viel sinnvoller, in solche Projekte investiert werden.
Cristina Zanini Barzaghi, dipl. Bauing. ETH, Stadträtin Lugano